26. Lektion
Fünf Säulen zum Verständnis von gutem Sex
Dieses Thema umfasst die Lektionen 26-36.
2 vs. 5 Säulen guten Sexes
Neulich hatte ich eine kleine Gesprächsrunde auf einer Party. Ein etwas jüngerer Freund von mir (29 Jahre) sprach von zwei Säulen von Sex. Armor (Liebe) und Eros (Erotik). Während diese Perspektive durchaus geeignet ist, vieles zu beschreiben, finde ich den Ansatz zu begrenzt. Für mich ist eine inhaltliche Fünfteilung viel hilfreicher zum Verstehen und Erklären davon, was guten Sex ausmacht: Die ersten vier Säulen sind Romantik, Sensorik, Verbindung und Hingabe. Die fünfte Säule ist nach der Erklärung der ersten vier besser verständlich und differenzierbar.
„Romantik“, ein Begriff, den ich fast synonym zu „Erotik“ verwenden würde, ist für mich all das, was wir um den Sex herumbauen: Schönheit, Storys, Kostüme, die Stimmung durch Kerzen oder Musik und auch die persönliche Beziehung zur anderen Person und wie diese in Szene gesetzt ist. „Du bist die schönste Frau für mich!“ wäre dementsprechend genauso Teil der Romantik wie das animalische „Leck mich, du geiler Hengst!“ oder die Aussage „Ich will nur dich!“. Damit fällt auch Liebe für mich unter „Romantik/Erotik“. Der Unterschied beider Begriffe besteht für mich darin, dass Erotik einen etwas sexuelleren Touch hat und Romantik sich eher auf eine allgemeine emotionale Gestaltung der Welt bezieht und für asexuelle Bereiche besser passt.
Unter Sensorik fällt für mich alles körperlich Wahrnehmbare, also die Wahr- nehmung der Sinneseindrücke. Da der physische Sinneseindruck nicht gleich dessen Wahrnehmung ist, sondern die Fähigkeit, Sinneseindrücke zu spüren und darauf zu reagieren (sie zu genießen), trainierbar ist, nutze ich das englische Wort „Sensation“. Sensations sind all die Wahrnehmungen von dem, was körperlich passiert, einschließlich dem, wie sich die Körper (aneinander) anfühlen, was Gerüche und Klänge beieinander auslösen.
Der Klang der Musik wäre also keine Sensation, außer er ist direkt im Körper spürbarer, wie ein tiefer Bass. Der Schauer, der einem durch bestimmte Musik vielleicht über den Rücken läuft, jedoch schon. Da visuelle Reize nicht direkt auf den Körper einen physisch spürbaren Eindruck machen, lösen auch diese in der Regel nur indirekt Sensations aus.
Romantik, Sensations und Fantasie
Hauche ich meiner Partnerin ins Ohr, spürt sie die Luft in ihrer Ohrmuschel und vielleicht läuft ihr auch ein Schauer den Körper hinunter. Sowohl die Luft in ihrem Ohr als auch den Schauer nimmt sie sensorisch wahr. Hauche ich dann noch Worte wie „Ich werde gleich genüsslich und langsam deinen ganzen Körper vernaschen.“ hat der Inhalt vermutlich noch einen erotischen Effekt, der zusätzliche Sensations hervorruft. Vielleicht werden ihre Nippel steif, und sie spürt, wie diese gegen ihre Kleidung drücken oder verschiedene Körperstellen fangen an zu kribbeln.
Sensations werden also nicht nur von außen und durch die physische Interaktion kreiert. Sie entstehen bereits durch die normale Funktion unserer Körper; ein extra starker Blutfluss, Herzklopfen, Temperaturveränderungen, ein Ziehen, Verkrampfen, Kribbeln usw. Dies kann passiv von der Funktion unserer Organe ausgehen oder aktiv durch die Änderungen unseres Atems oder unserer Aufmerksamkeit ausgelöst sein. Auch unsere Gefühle können reale Sensations erzeugen. Ein romantischer Gedanke zum Beispiel kann Schmetterlinge im Bauch hervorrufen – ein Ausdruck, der zwar emotionale Bedeutung hat, aber auch ein im Körper spürbares Phänomen beschreibt.
Unser Geist hat viel mehr Einfluss auf unseren Körper, als wir es uns vorstellen können – siehe Placeboeffekt, Epigenetik und wie Wim Hof seine Körpertemperatur durch Bewusstsein beeinflussen kann. Romantik führt uns diese Macht teilweise vor, wenn ein inszeniertes Dinner, Musik, Duft[1] und Kerzenschein, ein erotischer Tanz oder auch nur ein Blick uns wohlig, wild oder erregt werden lassen. Diesen Effekt können wir auch durch unsere Fantasie nutzen, durch mental (re)kreierte Romantik.
[1] Genau genommen ist Duft eine Sensation und hat als solche auch eine ganz besondere Macht in der Romantik, Erotik und riesiges Genusspotential in der Sensorik.
Viele Menschen machen genau das beim Sex: Sie fantasieren, um über dessen erotischen Effekt mehr zu spüren. Man könnte auch sagen, sie gehen nach innen – hinein in ihre mentale Welt. Für wirklich guten Sex ist dies jedoch ein Irrweg. Selbst Romantik kann uns am Genießen hindern. Stell dir vor, du reagierst mit geschlossenen Augen auf eine Berührung am Oberschenkel. Du findest die Sensation, die dadurch entsteht, angenehm, deine Beine öffnen sich leicht, und du spürst Blutfluss in deinen Schritt. Dann öffnest du die Augen und stellst fest, dass ein Mann dich berührt, zu dem du dich sexuell nicht hingezogen fühlst. Vermutlich ist die Berührung jetzt plötzlich unangenehm, obwohl sich physisch nichts verändert hat. In diesem Moment hindert dich Romantik am Genuss deiner Sensorik. Romantik ist eine extra Schicht, die unsere emotionale Lage beeinflusst, unsere Sensorik uminterpretiert und diese damit sowohl unterstützen als auch stören kann. Das passiert auch, wenn wir beim Sex fantasieren. Der mentale Fokus auf etwas, das nicht da ist, holt uns aus dem Moment und verlagert die Quelle unser Sensations vom Realen hin zu unserem Geist. Unser Geist ist unglaublich mächtig, doch fantasieren verhindert die Steigerung der Wahrnehmung von dem, was wirklich da ist – die „Orgasmische Fähigkeit“. Ein Mensch ist „orgasmischer“, wenn er oder sie Stimuli besser wahrnimmt und stärker darauf reagiert. Fantasieren macht uns weniger orgasmisch, weil es unsere Energie ins Gehirn lenkt, statt in die Nervenenden, wo sie uns feinfühliger machen würde. Fantasieren raubt uns so wertvolle Aufmerksamkeit und damit zusätzlich auch Verbindung.
Stell dir vor, es gäbe einen Weg, die Macht des Geistes mit der der Sensorik zu verbinden, sodass beide konsequent zusammenarbeiten und einander aufschaukeln. Richtig angewendet, ist dies der Effekt der dritten und vierten Säule:
Verbindung & Hingabe
Man könnte es auch „Das Geheimnis für wirklich guten Sex“ nennen. Während Hingabe relativ schnell erklärt ist, lohnt es sich, dem Thema Verbindung und seinen Facetten mehr Zeit zu widmen.
In der einfachsten Form bedeutet Hingabe: Ich mache etwas ganz, sonst mache ich es gar nicht. Gebe ich mich einer Tätigkeit hin, dann mache ich in dem Moment nichts anderes, was auch meine Gedankenwelt einschließt. Ich fokussiere mich voll und ganz auf eine Sache, bin im Moment präsent und nutze alle Sinne, um die Erfahrung vollständig zu erleben. Wenn man sich ganz einer Erfahrung hingibt, lässt man Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft los und konzentriert sich ausschließlich darauf, was gerade passiert.
Hingabe ist damit auch die Grundlage für Verbindung, da alle Ablenkungen der Verbindung im Weg stehen. Beim gegenseitigen Verwöhnen bedeutet dies, wenn ich gebe, dann gebe ich mit meiner ganzen Aufmerksamkeit und wenn ich empfange, dann empfange ich mit meiner ganzen Aufmerksamkeit. Ich denke dann weder darüber nach, ob ich gerade empfangen darf oder wie ich gleich zurückgeben werde, sondern fokussiere mich auf die Sensations und vielleicht auf die Kommunikation mit meinem Partner. Werde ich doch von Gedanken abgelenkt, stelle ich das zunächst fest, ohne mich dafür zu verurteilen oder weiter dem Gedanken zu folgen. Finde ich es wichtig für den Moment, frage ich meinen Partner kurz dazu oder lasse diese Ablenkung einfach wieder los, um zum Fokus zurückzufinden. (Das ist übrigens auch eine typische Meditationspraxis.) Gerade der Fokus beim Nehmen ist doppelt praktisch, denn die meisten Menschen geben gerne, wenn der Empfangende dafür empfänglich ist. Ist der Empfangende abgelenkt, wird er spürbar weniger reagieren, was den Gebenden verunsichert und so dessen Spaßfaktor dezimiert.
Grundlage für Hingabe sind gegenseitiges Vertrauen und Respekt. Vertrauen in die Absicht und Fürsorge des anderen sowie in dessen offenes und ehrliches Feedback. Respekt bedeutet, man begegnet sich auf Augenhöhe, behält seine eigene Integrität und nimmt sich, frei vom Ego, als gleich viel wert wahr, was ein wesentlicher Unterschied zur Unterwerfung ist. (Den Themen Ego und Unterwerfung werden wir uns später widmen.) Sich einer Erfahrung ganz hinzugeben, bedeutet, sich vollständig und bewusst darauf einzulassen, ohne Ablenkungen oder heimlichen Widerstand. Das bedeutet vielleicht, dass man mentale Themen, die einen noch ablenken, zuerst besprechen oder auf andere Art ablegen sollte (siehe zum Beispiel Lektion 45 – Vorübungen vor dem Vorspiel), oder durch meditative Praktiken seinen Fokus schärft. Gerade bei neuen Erfahrungen sind innerliche Widerstände typische Ablenkungen. Nehmen wir diese Widerstände unadressiert mit in die Erfahrung, können wir uns nicht ganz darauf einlassen – uns der Erfahrung nicht vollständig hingeben. Und wir machen es uns doppelt schwer: Wir geben uns dem Partner nicht hin, weil wir versuchen, ein Thema allein zu lösen, während wir gemeinsam etwas machen. Grund ist oft, dass wir uns dafür schämen, denken, wir müssten unsere Widerstände komplett auflösen, um uns ganz hinzugeben, oder wir wollen den anderen nicht belasten. Wir brauchen Widerstände jedoch nicht auflösen, es genügt, sie zu teilen. Teile, was dich belastet und wenn du dich bereits entschieden hast, dich trotzdem auf eine Erfahrung einzulassen, dann teile auch das. Man könnte meinen, wenn man sich eh bereits dazu entschieden hat, macht es auch keinen Unterschied mehr, seine vorhandenen Widerstände zu teilen, doch das Teilen hat auch dann kaum vorstellbaren Wert.
Wenn wir unser Innerstes teilen, gehen wir in die Verbindung und erhöhen damit die Intimität. Vielleicht ist das, was da ist, nicht immer das, was man sich gerade wünscht, aber zumindest ist es echt. Es ist authentisch. Sich authentisch zu zeigen, ist die Grundlage von intimer Verbindung und auch die Grundlage von überwältigend schönen Erlebnissen. Sich auch dann zu zeigen, wenn etwas unangenehm ist, bedeutet, dass wir offen für die Verbindung sowie auch bei uns selbst bleiben. Das ist die Voraussetzung für tiefgehenden Sex.
Das Teilen hat aber noch einen Vorteil. Haben wir etwas geteilt, können wir es gemeinsam thematisieren. Dadurch eröffnet sich ein neuer Raum von Möglichkeiten, den man sich vorher selten vorstellen kann. Doch auch ohne neue Lösungen geben wir uns der Tatsache hin, dass wir eine gemeinsame Erfahrung machen wollen, und dass dafür mein Inneres für den anderen genauso wichtig ist, wie für mich.
Würde ich mit einem Widerstand, einem Zweifel, den ich nicht teile, in eine neue Erfahrung gehen, würde ich sehr wahrscheinlich zwischendurch darüber nachdenken, abgelenkt oder gar abwesend sein und damit meinen Partner verunsichern. Meine Reaktionen wären dann leicht fehlzuinterpretieren, weil in mir etwas passiert, von dem mein Partner nichts weiß. Ich wäre mit meinen Zweifeln, allein und mein Partner wäre allein mit seiner Verunsicherung. Damit würde die fehlende Hingabe zu meinem Partner unsere Verbindung stören.
Die Lösung ist offene Kommunikation; das Teilen von allem, was einen bewegt, wodurch eine tiefe Verbindung entsteht und das gegenseitige Empathievermögen stark gesteigert wird. Wissen über das Innere des anderen hilft uns beim Hineinfühlen. Was ebenfalls immens hilft, ist gleich schnell zu atmen und sich durch verschiedene Übungen auf einer tieferen, nonverbalen Ebene zu verbinden.
27. Lektion
Eye-Gazing
Die Augen sind die Tore zur Seele.
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