64. Lektion
Attraktivität & „Beute-Schema“
„Wenn Sie andere nicht mehr in ein vorgefasstes Schema zu pressen versuchen, mit dessen Hilfe Sie darüber entscheiden, was Sie mögen und was nicht, dann werden Sie entdecken, dass Beziehungen gar nicht so kompliziert sind.“
–
Michael A. Singer, Die Seele will frei sein.
Lektionen 64-67 sind speziell für Singles.
Wenn du noch nicht den Luxus eines Sexualpartners hast oder Liebe suchst, wird dir dieser Teil des Buches bei wichtigen Schritten helfen.
Der Teil zu Körpersprache
sollte jedoch für alle Lebenslagen interessant sein
Oft wissen Menschen innerhalb von Sekunden, wen sie attraktiv finden. Dass Schönheit, die nicht erst entsteht, großteilig vergangenheitsbezogen und erlernt ist, erläutere ich in Lektion 67. Obwohl es große Überschneidungen gibt, sollten wir Attraktivität separat betrachten.
Ich habe einmal einen spannenden Artikel gelesen, in dem eine Frau ihr „Beuteschema“ reflektiert hat. Sie meinte, ihre Freundinnen haben großartige Männer, doch ist ihr aufgefallen, dass sie diese in „freier Wildbahn“ nicht zwei Mal angeschaut hätten. Meist suchen wir in Partnern nicht das, was uns guttut, sondern das, was wir von unseren Eltern kennen. Wir wiederholen unterbewusst Muster aus unserer Kindheit. Das Vertraute zieht uns an – das Gute genau wie das Störende.
Erst kürzlich klagte mir eine Frau, dass sie eine lange Reihe von Narzissten gedatet hat und sich danach sehnt, wieder vertrauen zu können. Doch bei der „authentic date night“, bei der wir gemeinsam waren, zog es sie zu einem Mann, dessen Verhalten ich und eine andere Frau im Nachhinein klar als narzisstisch bezeichneten – hauptsächlich anhand ihrer eigenen Beschreibung der Interaktion, aber auch anhand eigener Beobachtungen. Als wir sie darauf aufmerksam machten, verteidigte sie ihn und sein Verhalten. Kopf und Bauch arbeiteten hier klar gegeneinander. (Rationaler vs. emotionaler Verstand) Wie Jonathan Haidt in seinem Buch „Die Glückshypothese“ so schön beschrieb, fungiert der Kopf nur noch als Anwalt, wenn der Bauch erstmal die Richtung vorgegeben hat. Der Bauch fällt die Entscheidung, der Kopf verteidigt sie nur noch. (Siehe Lektionen 30 und 34.) Dennoch glauben wir, unsere rationale Argumentation sei der Grund für die Entscheidung.
Die Frau im Beispiel erzählte uns auch, dass sie bei ähnlichen Veran- staltungen (Temple Nights) in naher Vergangenheit jeweils den Raum kurz gescannt hätte, wusste, wen sie will und diesen Mann dann auch „bekam“. Dieses Mal funktionierte dies jedoch nicht und deshalb war sie traurig, enttäuscht und vielleicht gar verzweifelt sowie frustriert. Ich denke, dieses Verhalten ist typisch für eine männlich präsente Energie: Sie hat in wenigen Sekunden entschieden, wen sie interessant findet und dann nur noch versucht, diesen Menschen zu bekommen. Einen Reflektions- oder Kennenlernprozess, ob dieser Mensch wirklich passend ist, gab es nicht.
Wie kann es sein, dass eine Frau, die ein Problem damit hat, nur Narzissten gedatet zu haben, das bereits reflektiert hat, dies nicht mehr will und es sie dennoch wieder zu Narzissten zieht? Wahrscheinlich war der Vater ein Narzisst. Ein emotional unerwachsener Teil in uns sucht nicht nur nach Partnern, die möglichst viele Persönlichkeitseigenschaften unserer Eltern mitbringen – gute wie auch schlechte –, man sucht damit auch Teile in sich, die man von sich abgespalten hat. Teile, bei denen man sich verstellt und versucht Dinge aus seiner Vergangenheit zu erleben, Erlebnisse, zu denen man sonst keinen Zugang hat. Doch ohne neue Umgangsformen, traumatisieren wir uns damit nur wieder neu.
Ich denke, es ist für viele Menschen Zeit, ihr Beuteschema zu ändern, und weniger zielstrebig Menschen kennenzulernen. Viele der besten Beziehungen entstehen aus Freundschaften oder in Umfeldern, in denen Menschen ungezwungen und nicht zielstrebig miteinander Zeit verbringen, sich dabei kennenlernen und dabei Attraktivität zueinander entwickeln – für den Menschen und seine Art, wie er/sie ist; und nicht für das, woran die Person einen erinnert oder für das, wie wir glauben, neben dieser auszusehen (Status denken).
Tipp: Versuche nicht zu „daten“, sondern lerne Menschen ungezwungen kennen. Am besten Männer und Frauen und auch solche, die überhaupt nicht in dein Beuteschema passen. Und wenn es nur dafür ist, um zu lernen, wie man mit einem Menschen ungezwungen Zeit verbringt. Vielleicht stellst du fest, dass es mit ganz anderen Menschen Spaß macht, als du dachtest. Macht gemeinsam Dinge, die dir Spaß machen, die du eh gerne machen würdest. Behandle deinen Gegenüber wie einen guten Freund, den/die du schon lange kennst. Mit denen würdest du dich auch nicht treffen und permanent über eure Vergangenheit sprechen oder euch gegenseitig interviewen, sondern gemeinsam etwas machen und über Dinge sprechen, die euch wirklich interessieren. Ich nenne es erleben statt kennenlernen.